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Veranstaltung: ‘Ich trete aus der Kunst aus!‘ Eine höchst verführerische Anleitung von Joseph Beuys zur Überbietung der Künste durch die Autorität der Kulturen

Mittwoch, 2.6.2021, 11:30 Uhr, Wuppertal, Kaiser & Dicke, Gewerbeschulstraße 74-78, 42289 Wuppertal-Barmen

Mit Bazon Brock, Heinz Bude, Robert Fleck, Peter Heeren, Annekathrin Kohout, Anne Linsel, Hans Ulrich Reck, Silke Rehberg, Stephanie Senge, Wolfgang Ullrich und Lambert Wiesing (Programm siehe unten).

Teilnahme per Livestream über: https://stew.one/

Im Rahmen des Performance-Festivals „Die Unendlichkeit des Augenblicks. Aufführungskünste nach Beuys“: https://www.wuppertal.de/microsite/Beuys-Performancefestival_/index.php

Zur Aktion:

Der zutreffende Vorwurf, Beuys habe wenig Ahnung von den sozialen, kulturellen und politischen Voraussetzungen heutigen gesellschaftlichen Lebens gehabt, hat Beuys' enormer Wirkung in der Öffentlichkeit nicht geschadet. Warum? Alle Gesellschaften werden im Kern von Überzeugungen zusammengehalten, die herkömmlich in der Autorität von Religionen, Mythen und Legenden, Philosophien, Ideologien oder Herkunftswissenschaften liegen. Kurz: Alle Gesellschaften werden durch die normative Kraft des Kontrafaktischen bestimmt.
Deshalb sind selbst in technologisch/wissenschaftlich hoch entwickelten Gesellschaften kontrafaktische Behauptungen wie Fake News, Verschwörungstheorien oder Privatmythologien wirksam.

Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode. Die Künste haben spätestens mit Dada bewiesen, wie sinnvoll Unsinn ist. Sogar die Aussage, „Was ich jetzt sage, ist Unsinn“ ist ja sehr sinnvoll. Die Sinndichte der Kommunikation erhöht sich durch die Verbreitung von beliebigen sinnlosen Behauptungen, weil jedermann etwas Sinnvolles zu sagen meint, wenn er die Sinnlosigkeiten der anderen kennzeichnet.

Eine alte Volksweisheit besagt – und sie wird von Strategen bestätigt: Wenn Du etwas durch Willkür in die Welt setzt und zur Geltung bringen willst, wenn Du etwas Falsches getan hast, musst Du es nur systematisch und unbeirrt weiterverfolgen. Dann hat es dieselbe Wirkung wie die Durchsetzung der Wahrheit selbst. Das ist die Erklärung dafür, dass viele geschichtliche Gesellschaften höchst leistungsfähig und lange stabil waren, obwohl ihre Grundannahmen im heutigen naturwissenschaftlichen Sinne hanebüchener Blödsinn gewesen sind.

Beuys hat diese Zusammenhänge intuitiv verstanden. Deshalb richtete er sein Interesse auf keltische Spiritualität oder schamanistische Praktiken, um uns auf den Zusammenbruch riskanter Gewissheiten von Gesellschaften des westlichen Typs vorzubereiten.

In der Region des Niederrheins, aus der Beuys stammt, fand ein mythenfähiges Experiment der Konfrontation von keltischer Spiritualität (die Kelten hatten jahrhundertelang das ganze cisalpine Europa kulturell geprägt), germanischer Führungsautokratie und römischer Rechtsstaatlichkeit statt. Die verschiedenen Fassungen der Hermann-, Siegfried-, Nibelungensagen berichten davon. Das bestimmte nicht nur die deutsche Romantik und den Kulturnationalismus. Heute ist dieser Konflikt universal geworden: zum Beispiel im clash of cultures oder in der Konfrontation zwischen Künsten und Kulturen.

Künste und Wissenschaften leben von der Autorität von Individuen als Autoren. Kulturen leben aus der Autorität der Kollektive. Mit der Autorität der Künstler und Wissenschaftler ist es nicht mehr weit her. Weltweit fordern Kulturen strikte Unterwerfung der Künste unter das Regime der Kollektive. Damit ist aber auch der Anspruch von jedermann, als Individuum ernst genommen zu werden, aufgekündigt. 600 Jahre Kunstentwicklung kommen an ihr Ende.

Wenn Beuys mit dem Satz „Ich trete aus der Kunst aus“ nicht gemeint haben sollte, dass der Tod seine Künstlerlaufbahn beendet, dann scheint er das Ende der geschichtlichen Entwicklung der Künste akzeptiert zu haben. Waren nicht schon viele seiner Aktionen Rücküberführungen der Künste in die Kulturen. Nach „Zurück zur Natur“ nun „Zurück zur Kultur“?

Programmablauf:

Die Abstracts zu den Beiträgen können Sie sich hier als PDF herunterladen.

11:30 Uhr: Begrüßung durch den Kulturdezernenten Matthias Nocke und Dr. Bettina Paust vom Kulturbüro Wuppertal

12:15 Uhr: Einführung ins Thema durch Bazon Brock, Denker im Dienst: „Eine höchst verführerische Anleitung von Joseph Beuys zur Überbietung der Künste durch die Autorität der Kulturen“

13 Uhr: Peter Heeren, Komponist: „Kosmische Symphonie“ – Uraufführung im Urton

13:15 Uhr: Heinz Bude, Soziologe: „Gesellschaft als Mysterium – im Disput mit Joseph Beuys

14 Uhr: Silke Rehberg, Bildhauerin: „Hase statt Adler. Ein Neuentwurf für das deutsche Staatswappen“

14:45 Uhr: Wolfgang Ullrich, Kunstwissenschaftler: „'Jeder Mensch ist ein Künstler' - Joseph Beuys als Theologe“

16 Uhr: „Kosmische Symphonie“

16:15 Uhr: Annekathrin Kohout, Kunst- und Kulturwissenschaftlerin: „Die Anglerweste als Künstleruniform“

17 Uhr: Stephanie Senge, Konzeptkünstlerin: „Die Warenwunder finden im Supermarkt statt. Konsumbibliothek Beuys“ (Installation)

17:30 Uhr: Lambert Wiesing, Philosoph: „Cooler Schwitters, woker Beuys. Stile der ästhetischen Weltverbesserung“

18:15 Uhr: Anne Linsel, Kunstzeugin: „Glück und Leiden des Beuys-Publikums“

19 Uhr: „Kosmische Symphonie“

20 Uhr: Hans Ulrich Reck, Kulturanthropologe: „Was teilte der Kojote Beuys mit? Ein produktives Missverständnis"

21 Uhr: Robert Fleck, Kurator: „(Post-)Katholizismus, Materialbehandlung und Utopie bei Beuys“

21:45 Uhr: „Kosmische Symphonie“

Gewidmet allen kunstgläubigen Paulussen, damit sie endlich aufgeklärte Saulusse werden können.

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