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Veranstaltung: Kabarettistische Vernunft

Donnerstag, 7.3.2019, 18:30 Uhr, Berlin, Denkerei, Oranienplatz 2, 10999 Berlin

Mit Erwin Wurm und Bazon Brock

Erwin Wurm und Bazon Brock werden sich bemühen, in der Denkerei eine Unterkonstruktion der kabarettistischen Vernunft in der Diskussion der Geschichte der Karikatur des 19./20. Jahrhunderts sichtbar zu machen – als eine Archäologie der Versalzung durch Liebe, durch Leidenschaft, durch Pathos und Affektation. Darf man über Erwin Wurms Skulpturen herzlich lachen? Oder muss man zynisch meckern? Oder Stammtischbrüllerei inszenieren?

Die unmittelbaren Großväter der „Wurm'schen Gurke“ sind Karikaturisten wie Grandville und Genossen.  Bisher hat es nur Werner Hofmann gewagt, die Analogie zwischen der Kunst des 20. Jahrhunderts und der Karikatur des 19. Jahrhunderts anzusprechen. So ist es von erkenntnistheoretischem Interesse, wie die Präsentation der Realobjekte durch Erwin Wurm über die Leistung der gezeichneten Karikatur hinausführt. 

Zur Vorbereitung auf die Diskussion folgt ein Auszug aus dem Briefwechsel Bazon Brock – Erwin Wurm:

Berlin, 27. Februar 2015

Lieber Erwin Wurm,

wir freuen uns alle auf Ihre Eröffnung in Wolfsburg. Wie Sie seit Ihrer Arbeit in der Klasse Brock wissen, war ich Markus Brüderlin als Lehrer und Doktorvater eng verbunden. Zu den Programmpunkten, die wir in seinen Wolfsburger Jahren in Begleitung der verschiedensten Ausstellungen bearbeiteten (Revision der Moderne), gehörte auch die Kritik der kabarettistischen Vernunft. Seit 1900 hat ja die gesprochene Karikatur, die gespielte Karikatur oder die dramatisierte, gesungene Karikatur den höchsten philosophischen Anspruch entwickelt. Was heute Rationalität heißt in Wirtschaft, Politik und positiver Wissenschaft, ist durch die kabarettistische Vernunft der Kritik verfallen. Das ist eine andere als die von Sloterdijk bearbeitete Geschichte der zynischen Vernunft.

Wenn Sie etwa daran denken, dass die Entwicklung der Bundesrepublik als Demokratie und Rechtsstaat von den Zwillingspaaren Carl Schmitt und Carlo Schmid, Ludwig Erhard und Heinz Erhardt, Arno Schmidt und Helmut Schmidt bestimmt worden ist, mit anderen Worten, dass Berlin in der Blockade durch Rosinenbomber und die RIAS-Insulaner überlebt hat und dass die Korrektive für Allmachtsphantastik, autokratisches Gebaren und Gottgleichheit des Kapitals von den großen Aufklärungsgesellschaften Kom(m)ödchen, Stachelschweine und Lach- und Schießgesellschaft waren, wird Ihnen einleuchten, dass wir etwa Wolfgang Neuss, Volker Pispers und Gerhard Polt als Staatsphilosophen der Bundesrepublik so feiern, wie Hegel einst in Berlin als Staatsphilosoph Preußens gefeiert wurde. Die Konstruktion dieses Satzes verweist schon auf die erhellende Funktion von Deformationen wie Streckung, Quetschung, Verstauchung, die ja Formalien der Karikatur sind.

Ich hatte anlässlich Ihres wunderbaren Geburtstagsfestes schon angedeutet, dass ich für Ihre nächste Ausstellung die erkenntnistheoretische Methode Wurmfraß seit Mitte des 18. Jhd. darstellen möchte. Die einzig angemessene Horizontbestimmung für Ihre Arbeit ist der unmittelbare Verweis auf Grandville, Daumier, Wilhelm Busch, George Grosz, die Gebrüder Heartfield, die Adams Family etc.

Ich habe das in der Temporären Kunsthalle Berlin 2009 erprobt. Der Aufschrei des Erkenntnisentzückens klingt mir noch in den Ohren. Dieses Erlebnis möchte ich Ihnen gerne vor Ihren eigenen Arbeiten bieten. Deshalb die Frage: Könnten Sie dafür sorgen, dass innerhalb Ihrer Wolfsburger Ausstellung das „Wurmen“ als erkenntnistheoretische Methode (nach dem „Merzen“ von Schwitters) aufgeführt werden kann?

Also, was wurmt uns? fragt herzlich, Ihr Bazon Brock

Erwin Wurm, EW trägt Bazon . . . . . . . beide levitieren

Erwin Wurm, EW trägt Bazon . . . . . . . beide levitieren | Zeichnung auf Papier, 2011